Ich bin 60 Jahre alt, Single und lebe allein. Meine Familie ist in ganz Deutschland und Kanada verstreut. Um nicht missverstanden zu werden: Ich lebe gerne alleine, auch wenn ich mir wünsche, wieder einen Partner zu haben.
Mitte März fing alles mit Halsschmerzen und Husten an. Ein Anruf beim Arzt und eine Krankschreibung übers Telefon folgte. Das Gesagte irritiert: „Nein, getestet wird nicht, oder waren Sie in Italien?“ – „Nein, aber ich huste mir die Seele aus dem Leib und liege mit erhöhter Temperatur im Bett. Was, wenn ich eine Lungenentzündung bekomme?“ – „Wenn Sie Atemnot haben, rufen Sie die 112 an.“ So einfach war das.
Also vereinbarte ich mit meinem Sohn eine „Überwachung“ per WhatsApp: morgens und abends ein Daumen hoch von mir bedeutet – alles okay. Freundin Ruth und Mama riefen zuverlässig zweimal täglich an und ich telefonierte auch mit anderen viel. WhatsApp-Witze über Hamsterkäufe flogen hin und her. Die Eltern musste ich beruhigen: Nein, Hamsterkäufe in Form von Ravioli, Klopapier, Mehl und so sind nicht nötig. Wann hast du das letzte Mail Ravioli gegessen? Na siehste.
Das alles nahm mir die Angst und ich fühlte mich nicht einsam. Notwendige Einkäufe konnte ich delegieren – Gott sei Dank waren genug Lebensmittel im Kühlschrank.
Bis heute weiß ich nicht, ob ich die „normale Grippe“ oder Covid19 hatte.
Dann kam die offizielle Kontaktsperre. Alles wurde runtergefahren – mein Gesundheitszustand fuhr hoch. Ich lockerte meine selbst verordnete Quarantäne und ging morgens teilweise bei Frost in den fast menschenleeren Wald. Die Bewegung in der Natur baute auf.
Nach 14 Tagen der erste Einkauf mit Maske am frühen Morgen – da war es noch leer. Ich fühlte mich wie freigelassen. Täglich telefonierte ich über drei Stunden mit Freunden, brachte Mama Whatsappen mit Video bei und begann im Home-Office zu arbeiten. Der tägliche Sprachchat mit den Kolleg*innen tat gut: vertraute Stimmen, vertraute Themen und Ablenkung durch Arbeit.
Auch konnte ich endlich wieder in meinen Schrebergarten. Umgraben, Säen, Pflanzen – das Arbeiten im Garten und der Aufenthalt in der Natur erdet, gibt mir Kraft und stabilisiert mich. Ich machte fast täglich Yoga oder Sport im Park Düsseldorf.

Trotzdem, es ging mir emotional nicht gut. Telefonate, Sprachchats und Videokonferenzen sind kein Ersatz für Face-to-Face-Gespräche. Gemeinsames Rudelgrillen am Rhein, Treffen in Kneipen und Restaurants, Konzerte in der Jazzschmiede oder Tonhalle, Museumsbesuche wie Pablo Picasso, Partys und Veranstaltungen im zakk, durch die Stadt bummeln und „Menschen gucken“ – all das fehlt.
Seit nunmehr sechs Wochen habe ich keinen Körperkontakt mehr. Kein Händeschütteln, kein in-den-Arm-nehmen, kein Küsschen… Selbstverständlichkeiten entpuppen sich als lebensnotwendig, um psychisch im Gleichgewicht zu bleiben. Dazu kommt die Sorge um Familie und Freunde – viele sind Singles.
Damit meine Eltern Mund-Nasen-Masken haben, holte ich meine uralte Nähmaschine heraus. Einen ganzen Bettbezug habe ich mittlerweile zu Masken verarbeitet und verteilt.
Im Freundeskreis kümmern wir uns intensiver umeinander. Mittlerweile hat sich ein Modus eingespielt: Ich treffe mich mit den immer gleichen Leuten in meinem Schrebergarten, das warme Wetter ermöglicht es. Fast jeden Tag kommt eine Freundin oder ein Freund vorbei. Wir halten die Abstands- Kontakt- und Hygieneregeln ein, sind an der frischen Luft und erzählen. Unsere Gespräche sind emotionaler und tiefgründiger geworden. Liegt es daran, dass wir alle weniger im Außen sind? Ist emotionale Nähe ein Ersatz für körperliche Nähe? Ich weiß es nicht – aber es tut gut. Jetzt kann ich gut leben.
Ich bin so unendlich dankbar – ich habe einen sicheren Arbeitsplatz und keine finanziellen Sorgen. Ich habe gute Freunde und eine liebevolle Familie. Wir sind alle gesund. Wir bekommen alles, was für den täglichen Bedarf nötig ist und Obst und Gemüse gibt es in Hülle und Fülle. Ich kann noch immer das tun, was mir Kraft und Energie gibt. Und ich lebe in Deutschland – unsere Regierung hat, bei aller Kritik, sehr viel richtig gemacht. Hoffentlich bleibt das auch in NRW so!

Euch allen wünsche ich: Bleibt gesund, achtet auf Eure emotionalen und körperlichen Bedürfnisse, stärkt Euer Immunsystem und zeigt Mitgefühl – Euch selbst gegenüber und gegenüber Euren Mitmenschen.
Sooo schön geschrieben, liebe Cousine .. in unserer Situation merkt man was der Zusammenhalt mit Familie und Freunden bedeutet. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit Umarmung und Küßchen. ?
Liebe Angela,
ich hoffe du kommst gut durch die Pandemie und bleibst gesund! Bis bald an der Mosel.
Liebe Ute, sehr gut beschrieben. Ich hatte auch 4 Wochen lang fürchterlichen Husten mit einigen unangenehmen Begleiterscheinungen. Keine Ahnung, was das war. Klar, bin ich dankbar, gut versorgt zu sein und alles zu haben, was man zum überleben braucht. Aber Telefonate, WhatsApp oder Skypen sind kein Ersatz für persönliche Kontakte. Die Unbeschwertheit ist weg . Allmählich habe ich verstanden, dass dieser Zustand noch eine ganze Weile anhalten wird. Ich vermisse meine Enkelkinder und den direkten Kontakt zu meinen Freunden. Die Inhalte der Gespräche haben sich verändert.
Es geht viel mehr um persönliche Befindlichkeiten und Sehnsüchte und weniger um länger angelegte Ziele. Die Zeit ist wie stehen geblieben und die Tage
fließen dahin. Ich bin viel in der Natur, zu Fuß oder auf dem Fahrrad unterwegs und ich liebe die Wochenmärkte und die Besuche bei den Hofbauern. Die frische Luft und Sonne tun gut. Wichtig ist es, eine Struktur zu haben. Ich lerne jetzt Französisch auf Duolingo und hoffe, dass ich es irgendwann mal in einem Urlaub anwenden kann. Ich freue mich sehr auf unbefangene Stunden mit meinen Freunden ohne Maske etc. Jede zufällige Begegnung mit Fremden im Park oder sonst wo bekommt etwas Besonderes. Das Gefühl, im Innersten alleine zu sein, verliert sich für einen Moment.
Liebe Ursula,
danke für deine sehr persönliche Beschreibung deiner Empfindungen. Du sorgst gut für dich und genau das schätze ich so an dir – neben deiner Offenheit.
Ute, das hast du sehr schön geschrieben.
Danke Margit,
diese Zeit fällt uns allen nicht leicht. Wir müssen das Beste draus machen. Ich freue mich auf ein Wiedersehen.
Liebe Ute, es ist sehr schön zu lesen.
I can feel you 🙂
Mitgefühl zu zeigen und auf sich selbst zu achten – das nehme ich u.a. mit.
Danke Agne. Wir sprechen die gleiche Sprache.